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Nach Gustave Le Bon ist die Masse ein eigenes Wesen. Der Demagoge Trump hat sie fest im Griff.
Nach Gustave Le Bon ist die Masse ein eigenes Wesen. Der Demagoge Trump hat sie fest im Griff.

Gustave Le Bon, Donald Trump und die Massen

Posted on 24. Februar 20214. Dezember 2021 by Richard Müller

Donald Trumps große Lüge vom gestohlenen Wahlsieg gipfelte im Sturm auf das Kapitol. Die Lügen der Demagogen folgen einem simplen Drehbuch. Enthalten ist es in dem 1895 erschienenen Buch Psychologie der Massen des klugen Franzosen Gustave Le Bon.

Ganze zwei Monate lang – von Election Tuesday am 3. November bis zum Sturm auf das Kapitol am 6. Jänner – verbreiteten Donald Trump, seine Winkeladvokaten rund um Rudolph Giuliani und seine republikanischen Handlanger im Kongress eine einzige große Lüge: die Lüge vom gestohlenen Wahlsieg.

Egal wie unglaubwürdig die Vorwürfe waren, egal durch wie viele verlorene Gerichtsverfahren (mittlerweile über 80) diese widerlegt wurden. Nichts, aber auch gar nichts, konnte die Masse der Trump-Anhänger vom Gegenteil überzeugen. Je größer die Lüge, so schien es, umso mehr wurde sie geglaubt. Umso schneller verbreitete sie sich.

Filterblasen, Echokammern?

Sind das nun die Geister, die wir riefen? Sind die Irrelevanz der Vernunft und die Vergeblichkeit der Aufklärung das fürchterliche Opfer, das wir den neuen Annehmlichkeiten des Internets und der sozialen Medien darbringen müssen? Sind es die asozialen Medien mitsamt ihren viel beklagten „Filterblasen“ und „Echokammern“, die Trumps Totalangriff auf den Mainstream, das Establishment, „das System“ erst möglich gemacht haben? Sind Mechanismen am Werk, wie wir sie vor dem 12. März 1989, dem Tag, an dem Tim Berners Lee seinem Chef die Idee für ein World Wide Web präsentierte, nicht voraussehen konnten?

Die Erklärung für Trumps Erfolg ist vermutlich viel banaler. Charismatiker wie Trump, und ein solcher ist er zweifelsohne, haben es seit Beginn des Massenzeitalters vor vielleicht 200 Jahren verstanden, die Massen zu manipulieren. Mit seiner Aussage, er könne faire Wahlen gar nicht verlieren, war die große Lüge vom Wahlbetrug lange vor den Wahlen lanciert. Fortan hielten sich Trump und seine Entourage strikt an das massenpsychologische Drehbuch der Demagogie. Und es funktionierte. In der physischen Welt des Straßenmobs vom 6. Jänner in Washington. Und in der virtuellen Welt des Internetmobs während der Monate und Jahre davor.

Das Drehbuch der Demagogie

Wie schafft es ein notorischer Lügner wie Trump, seine Lügen – und das sind weder wenige noch kleine – unter seinen Anhängern schneller als das Coronavirus zu verbreiten? Trumps Plot, der in der Erstürmung des Kapitols gipfelte, dort leider nicht geendet hat und nach dem gescheiterten zweiten Impeachment auf mindestens vier weitere Jahre angelegt ist, folgt seit Trumps Entschluss, Präsident werden zu wollen, dem Drehbuch der Demagogie. Dieses enthält drei Kapitel:

  • Kapitel 1: Behauptung ohne Beweis und Beleg
  • Kapitel 2: Ständige Wiederholung
  • Kapitel 3: Übertragung und Ansteckung

Dieses Drehbuch, auch wenn es gar nicht als solches gemeint war, ist ziemlich gut. Und es stammt, wenig überraschend, nicht aus unserer Zeit. Denn es gibt kaum einen großen Gedanken, der nicht schon lange gedacht worden wäre. Das Drehbuch ist jetzt über 125 Jahre alt. Geschrieben für ein neues Zeitalter, das „Zeitalter der Massen“. Das Drehbuch der Demagogie geht so:

Die reine, einfache Behauptung ohne Begründung und jeden Beweis ist ein sicheres Mittel, um der Massenseele eine Idee einzuflößen. Je bestimmter eine Behauptung, je freier sie von Beweisen und Belegen ist, desto mehr Ehrfurcht erweckt sie. […]

Die Behauptung hat aber nur dann wirklichen Einfluss, wenn sie ständig wiederholt wird, und zwar möglichst mit denselben Ausdrücken. Napoleon sagte, es gäbe nur eine einzige ernsthafte Redefigur: die Wiederholung. Das Wiederholte befestigt sich so sehr in den Köpfen, dass es schließlich als eine bewiesene Wahrheit angenommen wird. […]

Wenn eine Behauptung oft genug und einstimmig wiederholt wurde, […] so bildet sich das, was man eine geistige Strömung nennt, und der mächtige Mechanismus der Ansteckung kommt dazu. Unter den Massen übertragen sich Ideen, Gefühle, Erregungen, Glaubenslehren mit ebenso starker Ansteckungskraft wie Mikroben.

Gustave Le Bon in „Psychologie der Massen“ von 1895

Gustave Le Bons Psychologie der Massen von 1895 begründete die Massenpsychologie. Als ausgebildeter Arzt verstand Le Bon die Infektiosität der Lüge. Nicht jede Versammlung von Menschen sei eine Masse, so Le Bon. Aber sobald sich eine Masse bilde, sei sie mehr als die Summe der Individuen. Sie sei ein neues Wesen. Sie besitze Eigenschaften, die von den Eigenschaften der einzelnen ganz verschieden sei. „Der einzelne ist nicht mehr er selbst.“ Ob eine Masse räumlich vereint oder räumlich getrennt sei, spiele keine Rolle. Auch für die Masse gilt: „Sobald eine gewisse Anzahl lebender Wesen vereinigt ist, einerlei, ob eine Herde Tiere oder eine Menschenmenge, unterstellen sie sich unwillkürlich einem Oberhaupt, d.h. einem Führer.“ Die Masse verlangt nach ihrem Demagogen.

Gustave Le Bon (1841-1931), Arzt, Anthropologe, Psychologe und Soziologe

Selbst die Wutbürger von heute ahnte Le Bon voraus: „Wenn der menschliche Organismus dauernde Wut zuließe, so könnte man die Wut als den normalen Zustand der gehemmten Masse bezeichnen.“

Ein Buch für den Giftschrank?

So weitsichtig Le Bons Werk auch ist, gehört es doch wohl zu jenen Schriften, die heute an vielen amerikanischen Universitäten im Giftschrank landen. Im günstigsten Fall würde der Text mit einer „Triggerwarnung“ versehen, um nicht irgendjemandes Gefühle zu verletzen. Um den geschätzten AktivistInnen der Cancel Culture, der Roten Armee Fraktion der Political Correctness, das Suchen zu ersparen: Le Bons zur Hochblüte des Imperialismus veröffentlichtes Buch ist, no na, rassistisch und sexistisch, außerdem von bourgeoisem Dünkel durchtrieben. Dass der Text von Demagogen als Bedienungsanleitung gelesen werden könnte, habe ich, glaube ich, schon erwähnt.

Die Splitter in den Augen der Alten

Doch mögen die Anschuldigungen der heiligen Inquisition noch so berechtigt sein – sie tun nichts zur Sache. Einige der tiefschürfendsten und geschliffensten Gedanken zur modernen Demokratie wurden von Sklavenhaltern verfasst. Nicht weil die amerikanischen Gründerväter und Autoren der Federalist Papers Sklavenhalter waren. Nein, obwohl sie es waren. Statt die Splitter in den Augen der Alten zu suchen, sollten wir von ihnen lernen. Wir haben es dringend nötig, und sie haben uns viel zu sagen. Aus dem Massenzeitalter kommen und wollen wir nicht mehr heraus. Dessen Segen ist die Demokratie, dessen Fluch der Totalitarismus. Die klugen Überlegungen des Rassisten und Sexisten Gustave Le Bon helfen uns auch 125 Jahre später zu verstehen, wie der Rassist und Sexist Donald Trump der amerikanischen Demokratie so unverschämt an den Unterleib fassen konnte.

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Bildquellen

  • Gustave Le Bon: Unknown author, Public domain, via Wikimedia Commons
  • Donald Trump: Gage Skidmore, CC BY-SA 2.0 , via Wikimedia Commons

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